What is it about?
Das Bundesverfassungsgericht legt Art. 2 Abs. 1 GG – das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit – entsprechend den Vorstellungen Kants aus. Es versteht Art. 2 Abs. 1 GG in ständiger Rechtsprechung als Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne: Art. 2 Abs. 1 GG schützt alle menschlichen Handlungen. Nach der weiten Auslegung der Mehrheitsmeinung des Bundesverfassungsgerichts entspricht Art. 2 Abs. 1 GG dem allgemeinen Rechtsgesetz Kants. Nach hier vertretener Auffassung findet die Schutzwürdigkeit der allgemeinen Handlungs-freiheit bei Kant ihren Grund darin, dass dem Menschen ein rechtlicher Schutzbereich gewährt werden soll, der ihm die Möglichkeit gibt, die moralischen Pflichten des kategorischen Imperativs in der empirisch-sozialen Welt, d.h. im „echten Leben“, zu verwirklichen. Diese These kann als „Realisierungsthese“ bezeichnet werden; genauer ist es, von einer „Schutzthese“ zu sprechen.
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Why is it important?
Es handelt sich bei der Frage, weshalb auch vermeintlich banale Handlungen rechtlichen Schutz genießen (sollten), soweit diese nicht gegen die Rechte anderer verstoßen, nicht (nur) um ein akademisches Glasperlenspiel. J. Ipsen bezeichnet diesen Streit zum Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit zu Recht als „grundrechtsdogmatisches wie verfassungs-theoretisches Problem ersten Ranges“. Überdies handelt es sich bei dieser Frage nicht einzig um grundrechtsdogmatisches und verfassungstheoretisches Problem. Vielmehr hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 GG auch unmittelbare Auswirkungen etwa auf das Verwaltungsrecht. So könnte es ohne die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 GG nicht die sog. „Adressatentheorie“ geben, wonach bei jeglichem belastenden Verwaltungsakt bereits die Möglichkeit einer Rechtsverletzung gegeben ist und damit eine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO zu bejahen ist. Erst der grundsätzliche Schutz der gesamten allgemeinen Handlungsfreiheit führt dazu, dass jegliches Staatshandeln, das den Bürger belastet, einer Rechtfertigung bedarf und einer Überprüfung durch unabhängige Gerichte unterworfen ist.
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This page is a summary of: Kant und die allgemeine Handlungsfreiheit, JURA - Juristische Ausbildung, November 2017, De Gruyter,
DOI: 10.1515/jura-2018-0003.
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